Islam-Verständnis im Alevitentum
Alevitisches Islamverständnis sieht Alevitentum als unverfälschte, unveränderte, erleuchtete Weg von Muhammed und Ali zur Wahrheit, zum wahren Frieden und zur Glückseligkeit.
Die wichtigsten Grundlagen sind deshalb:
- sich zur Einheit Gottes zu bekennen, der alles Seiende und Denkbare erfasst, und sich Gott mit Liebe hinzuwenden (vergl.: Sure 49, Vers 14). Die Hinwendung zu Gott ist mit einer unendlichen Liebe im Herzen verbunden;
- an den Koran als Offenbarung Gottes zu glauben und ihn nach der Auslegung von Imam Ali sinnorientiert zu interpretieren, wie Mohammed es gewollt hat: „Ich bin die Stadt der Weisheit und Ali ist das Tor, durch das man in diese gelangt.“ Der alevitischer Islam glaubt an heilige Botschaften der Offenbarungen von den Propheten wie Moses, David, Jesus, Mohammed. Diese Propheten sind Gesandte Gottes, um den Menschen die Botschaft der göttlichen Barmherzigkeit zu bekunden und ihnen den Weg zu zeigen, wie sie in Liebe praktizieren und einvernehmlich miteinander leben können(“Rızalık“).
- den Propheten Muhammed als letzten Gesandten zu betrachten und Imam Ali als seinen rechtmäßigen Nachfolger anzuerkennen.
- anzuerkennen, dass der Prophet Mohammed den Koran und sein Nachkommen über Hz. Fatima und Imam Ali bis zum 12. verborgenen Imam Mahdi (die Ehli-Beyt) als zwei heilige und “voneinander unzertrennliche“ Vermächtnisse den Gläubigen anvertraut hat, an denen sie sich festhalten und in Glaubensfragen orientieren sollen.
- an der Imamatslinie (gerechte Führung der unverfehlbaren 12 Imame) festzuhalten und diese Verbindung mit “Tevella [1]“ und “Tebbera [2]“ zu bekräftigen.
- zu achten, dass Gott die Menschenwürde ins Zentrum des Glaubens stellt, indem ER göttliches Erkenntnis- und Schöpfungslicht sowie Liebeskraft in dessen Herz platziert (vergl.: Sure 50, Vers 16 und Sure 7, Vers 172-173). Alevitischer Islam misst folglich der Menschenwürde eine hohe Bedeutung bei, und stellt den Menschen nach dem Leitsatz „Benim kâbem insandır“ (Der Mensch ist meine Kaaba) in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. Im Alevitentum soll man deshalb Menschen mit Respekt begegnen und sie nicht nach Religion, Sprache, Ethnie/Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder Konfession trennen und bewerten.
- sich bemühen, das Leben in Liebe, Barmherzigkeit und Einvernehmen zu führen, das heißt: Streben nach Toleranz, Gerechtigkeit und nach einem gesellschaftlichen Wertekonsens ohne Ausgrenzung von Menschen unabhängig von seiner Herkunft, Hautfarbe, von seinem Geschlecht etc. (vergl.: Sure 5, Vers 48)
- sich ständig zu vergegenwärtigen, dass die Liebe im Zentrum der Schöpfung steht: „… ausreichenden Platz für Liebe habe ich in dem Herzen der Gläubigen gefunden.“
- im Alevitentum soll man den Glauben im Herzen tragen und stets danach Leben. Er betet Gott nicht aus Angst (z. B. vor Höllenfeuer) an, sondern aus Liebe.
- die Menschen als gleichwertig und die Menschheit von einem und demselben Ursprung betrachten. Jeder Mensch strebt nach alevitisch-islamischer Lehre von seiner Natur aus zum Heil, d. h. Frieden. Dies wird nach Alevitischen Islam nicht nur vom Koran sondern von allen anderen heiligen Schriften vertreten. Der Sinn des Glaubens als Weg zum Frieden (d. h. Gerechtigkeit, Liebe, einvernehmliches Zusammenleben, Bewahrung der Schöpfung und Achtung der Menschenwürde) ist bei allen gleich, egal in welcher Glaubensrichtung. Die Voraussetzung ist jedoch, dass der Mensch seinen Wert und seine Verantwortung kennt, d. h. zur wahren Selbsterkenntnis gelangt ist.
- zu bekennen, dass Alevitentum keine Geburt von alevitischen Eltern als Bedingung für Glaubenszugehörigkeit vorsieht. Man muss spätestens ab dem Reifealter individuell und aus freiem Willen mit der einvernehmlichen inneren Zustimmung (Rızalık [3]) dem alevitischen Pfad folgen.
[1] Dt: Zuneigung, Liebe und Loyalität gegenüber der Ehli-Beyt und ihnen wohlgesonnenen Menschen
[2] Dt: Distanz bzw. Lossagung zu den Feinden der Ehli-Beyt halten.
[3] Dt: Einvernehmliche innere Zustimmung (weiteres siehe Glossar)
[4] Bei diesem Festakt, legt der “Talib“ (als “Yol Evlâdı“) ein Gelübte vor “Pîrler Makamı“ [4] (dt: Sitz der “Pîrler“ als “Ehli-Beyt“ Gelehrten) zur Befolgung des alevitischen Pfades ab. Der “Talib / Muhib“ verpflichtet sich, den alevitischen Glauben nach der Lehre seines “Pir“ und unter seiner Leitung zu praktizieren.
[5] Im Koran wird ihre Durchführung durch die Verse At-Tawba 100 (9:100), Al-Anfal 72-74 (8:72-74) und Saba 46 (34:46) geboten.
[6] Die Beschneidungszeremonie ist im Alevitentum ein sakraler Akt. Die Eltern sind verpflichtet die Beschneidung für Jungen zu vollziehen.[6] Da Gott die Befolgung der Religion Abrahams geboten hat und der Prophet Muhammed dies akzeptiert und umgesetzt hat. Bei einigen Alevi-Strömungen begleitet der Kirve (Pate) den Jungen, der beschnitten werden soll. Die Patenschaft wird bei diesen Alevi-Strömungen als heilig betrachtet und dauert ein Lebenslang nach der Beschneidung.